Ich muss gar nix.

An sich finde ich joggen ja toll. Man kann es überall und zu jeder Tageszeit machen. Es verbrennt tierisch Kalorien, soll angeblich sogar high machen (man munkelt vom ‚Runners‘ High’) und gehört heutzutage irgendwie zum angesagten Lifestyle dazu.

Nur warum, verdammt, warum ist es so unglaublich anstrengend?

Während ausschließlich Blondinen (bitte entschuldigt, aber es kommt mir so vor und es ist der reine Neid, der aus mir spricht) in kurzen Höschen, engen und schnelltrocknenden Funktionstops, abgefahrenen Kompressionsstrümpfen (Häh?) und trendigen neonfarbenen Nike’s, nicht schwitzend, an mir vorbei schweben, ihr Pferdeschwanz dabei wie ein Metronom nach links und rechts taktet, versinkt das dunkelhaarige Mädchen (und ja, ich nenne mich ob fortgeschrittenen Alters selber noch so) mit jedem Schritts seufzend tiefer in ihrer ausgebeulten Jogginghose, dem ollen T-Shirt mit der Deutschen Post Werbung drauf (was sie sonst immer zum schlafen anzieht und heute nur daneben gegriffen hat) und in den Asphalt.

Es sind garantiert verstärkte Blei(lauf)schuhe, die ich anhabe, so wie Astronauten, damit diese nicht von den gefundenen Planeten ins Weltall plumpsen. Quälend schiebe ich mich Schritt für Schritt vorwärts und hinterlasse grabentiefe Rinnen hinter mir, die die hübschen, blonden Leichtfußmädchen perlend lachend umschweben. Ohne den Boden zu berühren laufen sie an mir vorbei, nicht ohne mir noch einen mitleidigen Blick an den hochroten und verschwitzten Kopf zu werfen, um sich dann ohne Atem zu holen weiter mir ihrer ebenso zarten und leichtfüßigen Mitläuferin über Quantenphysik zu unterhalten.

Keuchend krache ich auf die nächste Parkbank an der Alster. So ein Mist, mal ganz ehrlich. Wieso tue ich mir das eigentlich an? Weil ich mich gelegentlich auch von dieser ganzen man-muß-alles-machen-um-top-auszusehen-egal-wie-alt-Hysterie angestecken lasse. Und auch gern vom Working-Mom-size-0-Perfektions-Wahn. Wahlweise auch vom Du-bist-Yogalehrerin-6x-die-Woche-Selfpractice-sollte-schon-drin-sein-Alarm.

Ich. Muss. Gar. Nichts.

Immer soll ich irgendwie was machen: Viel arbeiten und viel verdienen, gleichzeitig 100% für das Kind da sein, die perfekte Beziehung führen, super aussehen (inkl. wöchentlicher Mani/Pedi, bidde), joggen, in YOGA classes rennen, mega dünn sein (möglichst Größe 34), mich gesund ernähren (bitte gern vegan), fair einkaufen (ist ja wohl Ehrensache), überallhin mit dem Fahrrad fahren (egal wie weit draußen ich wohne), superviel wissen (am besten alles), mein Haus aufräumen und total toll einrichten, meinen Keller und meinen Dachboden entrümpeln (weil nach Feng-Shui staut sich sonst da miese Energie), in meinem Garten Rasen mähen, den Kompost umgraben, die Vögel füttern, die Blumen gießen, Gemüse anbauen, Freunde treffen, interessante Gespräche führen, ins Kino/Theater/Oper gehen, Zeitung lesen, um im politischen/sozialen/kulturellen Geschehen des Heute zu sein, 3-Tages Musikfestivals besuchen, wir sind doch noch soooo jung, Mensch! auf dem Handy, unterwegs auf dem Fahrrad natürlich, alle Rückrufe erledigen und eben alle E-Mails beantworten…Nö.

Bloß weil die halbe Welt sich abstrampelt und krumm buckelt, es genauso machen zu müssen und deswegen reihenweise BurnOut/Rücken/Nervenzusammenbruch/Midlifecrisis u.ä. zum Opfer fällt, mach ich es einfach anders.

Ich schalte gleich mehrere Gänge zurück. Wonderwoman streikt.

Mein Haus sieht teilweise aus wie bei Hempels unterm Sofa. Ich habe vergessen einzukaufen, dann gibt es eben Knäckebrot mit Butter und Salz. Haare heute nicht gewaschen, ich mache mir einen Pferdeschwanz für den Tag oder setze eine Mütze auf. Huch, 2 kg mehr auf der Waage, jupp, weiiiil die Schokolade so lecker war. Ich konnte Dich nicht sofort gleich auf der Stelle zurückrufen? Ich tue es dann, wenn ich Zeit habe.

Ich kann es euch nur wärmstens an eure goldenen Herzen legen: Entspannt euch. Nichts ist unsexier als Perfektionswahnsinn. Bleib Dudu und hechel nicht irgendwelchen leeren Idealhüllen hinterher – wer zum Henker terrorisiert uns eigentlich immer mit denen?! Na logisch. Wir selbst.

Ich jogge, nein, ich walke jetzt lieber im Moor in meiner Nachbarschaft. Schön leer, schön leise, schöne Natur für’s Auge.

Letztens konnte ich in einiger Entfernung einen Blondschopf erkennen, der in meine Richtung lief. Ich wappnete mich innerlich mal wieder meiner Nemesis entgegen zu walken, holte aber überrascht Luft als der Blondschopf sich als der Fußballmoderator Delling entpuppte, der mir ein keuchendes und atemloses „Moin!“ zu warf. Der sah ganz und gar nicht sportlich und schon gar nicht schwebend aus. Ha! Geht doch.

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